Kapitel beendet? Der Populismus und die CSU - Gespräch Teil II

Florian, Du widersprichst meiner These, dass die CSU ihren populistischen Versuchungen aus dem letzten Sommer abgeschworen hat. Darüber hinaus scheinst Du nicht meine Auffassung zu teilen, dass es zwischen den etablierten Parteien einerseits und der AfD andererseits klar und deutlich gezogene Grenzen gibt, die eine Zusammenarbeit mit den „Rechtspopulisten“ auf absehbare Zeit undenkbar machen.

Lass mich darauf Folgendes erwidern: Was die CSU anbelangt, so muss man natürlich immer wieder mit (bösen) Überraschungen rechnen. Jüngstes Beispiel war unser Bundesverkehrsminister: Mithilfe einer einzigen, noch dazu auf falschen Berechnungen basierenden „Ausarbeitung“ von knapp über 100 Lungenärzten hoffte er, unzählige wissenschaftliche Studien entkräften und damit das Thema „Fahrverbote“ doch noch beerdigen zu können. Hier haben wir in der Tat eine Vorgehensweise, die sich eindeutig, indem sie Erkenntnisse der Wissenschaft verleugnet, populistischer Anleihen bedient. Schön, dass er sich damit blamiert hat und ihm auch die EU-Kollegen den Vogel gezeigt haben. Diese spezielle Lektion dürfte gesessen haben, so ist zu hoffen.

Titel: Politik ist mehr als Vogelspuren im Wattsand

Titel: Politik ist mehr als Vogelspuren im Wattsand

Du allerdings scheinst ohnehin gar nicht nur die CSU im Blick zu haben, sondern mehr oder weniger alle Parteien, die in den letzten Jahren politische Verantwortung getragen haben, des Populismus oder zumindest der Populismusnähe zu bezichtigen. Schließlich finden sich bis ins Grünen-Lager hinein Stimmen, die die drei Maghreb-Staaten zu sicheren Herkunftsländern erklären wollen. Und auch der „Türkei-Deal“ wird von den meisten Parteien nicht angefochten.

Vielleicht aber müssen wir uns ohnehin erst darauf verständigen, was sich hinter dem Begriff Populismus überhaupt verbirgt. Eine „von Opportunismus geprägte, volksnahe“ Politik fällt nämlich nicht darunter. In der Wissenschaft, aber auch in der politischen Praxis, wird der Begriff heute anders verwendet. Übrigens kann man der AfD auch nicht wirklich nachsagen, dass sie opportunistisch wäre; das ist sie eigentlich so gut wie überhaupt nicht. Populistische Parteien zeichnen sich dadurch aus, dass sie einen einheitlichen Volkswillen unterstellen und sich selbst als die einzige Stimme des Volkes verstehen, woraus sie auch ihren moralischen Alleinvertretungsanspruch („Wir sind das Volk!“) ableiten. Diesem Volkswillen setzen sie diametral die Interessen der Eliten entgegen, zu denen sie alle zählen, die im weiteren Sinne zum (kosmo-)politischen Establishment zählen: etablierte Parteien, Journalismus, Medien insgesamt, teilweise die Wissenschaft, aber auch „EU-Bürokraten“ und alles was man unter globaler und/oder kultureller Bohème verstehen kann. Diesen Gruppen begegnen sie mit (mehr oder weniger) unverhohlenem Hass. Der Populismus ist also dezidiert antipluralistisch. Im Falle des Rechtspopulismus geht die Betonung des einheitlichen Volkswillens obendrein Hand in Hand mit der kategorischen Ablehnung von Migration, da Migranten eine zweifache Rolle zugeschrieben wird: Sie schwächen das eigentliche Volk, da sie aus einem (tatsächlich oder vermeintlich) anderen Kulturkreis kommen und als Verbündete der globalisierungsfreundlichen Elite wahrgenommen werden. Obendrein sind sie Konkurrenten um ökonomische und Aufmerksamkeits-Ressourcen.

Auf welche Partei – außer der AfD – aber trifft eine solche Charakterisierung auch nur annähernd zu? Die CSU hat sich im letzten Sommer zu manchem hinreißen lassen, aber – und das war ja meine These – sie ist damit gegen die Wand gelaufen. Bleiben wir noch bei diesem Thema. Die AfD ist inzwischen seit anderthalb Jahren im Deutschen Bundestag und während dieser 18 Monate ist der Graben zwischen ihr und den anderen Parteien immer tiefer geworden (dabei war er 2017 auch schon tief). Dass ein inzwischen zurückgepfiffener Landespolitiker der CDU aus Sachsen kurzzeitig Überlegungen angestellt hat, die AfD als Partner nicht kategorisch auszuschließen, ändert daran überhaupt nichts. Ich habe den Begriff der Demarkationslinien benutzt, die die Abgrenzung zur AfD für jeden sichtbar machen. Du setzt das mit dem Versuch gleich, Hitler einzuhegen, und weist darauf hin, dass dieser Versuch ja schon einmal gescheitert sei. Mal abgesehen davon, dass wir nicht das Jahr 1932 schreiben und dieser Vergleich mehr als schwierig ist: Was 1931 bis 1933 geschehen ist, war doch das glatte Gegenteil von dem, was heute geschieht! Damals gab es die Harzburger Front (mit der NSDAP); damals gab es bei den Präsidentschaftswahlen 1932 ein rechtes Wahlbündnis, das sich hinter Hitler und nicht hinter Hindenburg gestellt hat; damals gab es 1933 eine Koalitionsregierung, in der man Hitler einrahmen und einhegen wollte, was dann elendig gescheitert ist. Parallele zu heute? Keine! Damals gab es eben keine Demarkationslinien.

Das Problem ist, dass Du alles, was seit 2015 in der Flüchtlingspolitik geschehen ist, mehr oder weniger als populistisch bzw. als Kotau vor der AfD brandmarkst. So kommen wir aber nicht weiter. Wir müssen schon scharf unterscheiden zwischen den Kräften, die den Pluralismus bekämpfen, und denjenigen, die möglicherweise eine Politik machen, die Dir nicht gefällt, die auch für viele Dinge kritisiert werden können oder müssen, die aber auf dem Boden des Grundgesetzes stehen und im politischen Parteienspektrum darum ringen, mehrheitliche Lösungen zu finden. Anders gesagt: Man kann die Ansicht vertreten, dass die EU ihre Grenzen für jeden offen halten muss (bei 150.000 Asylbewerbern im vergangenen Jahr in Deutschland kann man übrigens auch nicht behaupten, dass sie völlig verschlossen sind), aber man sollte auch akzeptieren, dass unsere Gesellschaft in überdeutlicher Mehrheit beschlossen hat, dass Einwanderung geregelt stattfinden muss, und dass die Parteien darauf auch reagieren. Das hat mit Populismus nichts zu tun, solange völkerrechtliche Verpflichtungen nicht unterlaufen werden.

Natürlich man muss man heftig kritisieren, dass es in Libyen in den Flüchtlingslagern verheerende Zustände gibt. Genauso dass Rettungsschiffe kriminalisiert werden und die EU bzw. die Mitgliedstaaten keine eigenen Flotten mehr im Mittelmeer unterhalten, während die italienischen Häfen weitgehend gesperrt werden – woran man übrigens sieht, was ein Populist vom übelsten Schlage alles so ausrichtet. Wir bewegen uns hier allerdings auch auf einem wahnsinnig komplexen Politikfeld, wo es eine unüberschaubare Anzahl an Akteuren gibt, mannigfache Ursachen für Migration, unterschiedliche Interessenlagen der Bevölkerungen/Regierungen und wo die Handlungsmöglichkeiten eines einzelnen Staates oftmals begrenzt sind. Mit solchen Komplexitäten wollen sich Rechtspopulisten natürlich nicht beschäftigen, aber auch der Linkspopulismus hat hier seine offene Flanke.

Es ist natürlich nicht so, dass die vielen Punkte, die Du ansprichst, nicht mindestens diskussionswürdig sind. Aber mach es Dir nicht zu einfach! Wenn Du globale Klimagerechtigkeit einforderst, hast Du zu Hundertprozent recht – aber glaubst Du allen Ernstes, mehr Verzicht hierzulande würde den Populismus schwächen? Die Augen vor den vielen Ziel- und Interessenskonflikten unserer modernen Welt zu verschließen, ist ebenso unterkomplex wie (weitestgehend) nur eine einzige Deutung für Armut und globale Ungleichheit zuzulassen, obwohl auch hier das Bild sehr viel facettenreicher ist. Du wirfst der CSU vor, sie richte ihre politische Haltung einseitig zu Gunsten von Menschen aus, die „an Kriegen oder am heutigen Kapitalismus verdienen“. Sorry, aber das ist schon bedenklich nahe an Populisten eines Schlages Mélenchon oder Lafontaine.

Kapitel beendet? Der Populismus und die CSU - Gespräch Teil III

Kapitel beendet? Der Populismus und die CSU - Gespräch Teil I