Vom Traumjob ins pure Leben

Gestaltungsfreiheit, Entwicklungsmöglichkeiten und Sinnstiftung. Ein tolles Team, Anerkennung und eine steile Lernkurve. Nur was tun, wenn das auf Dauer nicht ausreicht? Wenn immer klarer wird, dass etwas Wesentliches fehlt? Eigentlich ganz einfach: den Job aufgeben und ins Leben tauchen. Doch wie genau geht das eigentlich? Von der Suche nach neuer Orientierung, Gleichgewicht und letztlich dem guten Leben.

Füsse aufwärts

Gegen Ende meines Studiums war klar, ich suchte einen anspruchsvollen wie erfüllenden Job. Ich wollte mich einbringen, mitgestalten und einen relevanten Beitrag leisten. Gleichzeitig sollte meine Arbeit für mich und andere Sinn haben. Drei Jahre später hatte ich alles das und noch viel mehr. In der Nachhaltigkeitsabteilung eines Konzerns durfte ich mit wundervollen Kollegen und Partnern eine große Sozialinitiative mitgestalten. Dazu gab es ein gutes Gehalt, regelmäßige Dienstreisen und die Annehmlichkeiten eines großen Unternehmens. Eigentlich der perfekte Job. Eigentlich.

Zuerst kamen die typischen Störgefühle. Das Arbeitspensum zwang mich, meine Projekte weniger sorgfältig zu erledigen als ich es selbst von mir erwartete. Die Tage waren von morgens bis abends durchgetaktet. Zwischen Besprechungen und Telefonkonferenzen versuchte ich, mein Postfach im Griff zu behalten und mich nebenbei auf die wirklich wichtigen Aufgaben zu konzentrieren. Das gelang insgesamt wohl ganz gut. Doch trotz positiven Feedbacks stellte ich mir nach langen Tagen immer öfter die Frage, wie lange ich so weitermachen wollte.

Gleichzeitig kamen Freunde und Familie zu kurz. Ich sah sie viel seltener als gewollt. Auch wurden sie immer mehr wie Arbeitstermine ‚gemanagt‘. Und wenn ich sie traf ging das auf Kosten der Projekte, die ich jenseits der Arbeit voranbringen wollte. Ganz zu schweigen von der Zeit zum Ausspannen, ein gutes Buch zu lesen oder einfach mal die Sonne am Balkon zu genießen. Der Preis so zu arbeiten war hoch. Auf die Dauer zu hoch. Hinzu kam die nicht sehr überraschende Erkenntnis, dass es neben der Arbeit in einem Unternehmen noch unzählige andere Möglichkeiten gibt, sich einzubringen. Warum also immer nur auf diese eine Form des Arbeitens fokussieren?

Da mag der GenerationY-Verdacht nahe liegen. Ein typischer Optimierer? Nicht ausdauernd, nie zufrieden, dafür gern fordernd? Mag sein. Aber ist es verwerflich, nach einem befriedigenden Lebensentwurf zu suchen und dabei die Veränderung als Ziel zu begreifen? Unserer Generation ist vermittelt worden, dass uns alle Türen offen stehen. Auch wenn das eine vereinfachte Sicht sein mag, stehen uns zumindest deutlich mehr Entwicklungsmöglichkeiten zur Verfügung als vorherigen Generationen. Warum diese Chance also nicht nutzen? Warum nicht nach einem erfüllenden Leben streben? Einem, in dem neben dem Beruf auch ausreichend Zeit für Familie und Freunde bleibt. Einem, in dem der Job nicht vor allem dem Arbeitgeber nützt, sondern ebenso mir selbst, genauso wie anderen. Und damit einem Lebensstil, in dem ausreichend Zeit für die wesentlichen Dinge bleibt.

Also, der Entschluss ist gefasst, der Job an den Nagel gehängt. Und nun? Wie genau suche ich jetzt eigentlich nach alternativen Lebens- und Arbeitsentwürfen? Und wie kann ich beurteilen, welcher davon für mich zumindest für die nächsten Jahre der Richtige sein könnte? Da flatterte eineEinladung ins Haus.

Ein dreitägiges Seminar im Berliner Hinterland mit dem passenden Namen „Into the Journey“ machte mich neugierig. Der Untertitel noch mehr: „Are you a journeyer? Are you traveling the inner road as much as the outer? Then come and join us”. Zugegeben, das Thema könnte etwas mit mir zu tun haben. Ich hatte jedoch keine Ahnung, was dort konkret passieren sollte. So fuhr ich am ersten Tag nach Jobende gen Norden – mit dem Bus.

Beruflich war ich zuvor regelmäßig in Berlin und setzte für den Flug mit An- und Abfahrt etwa drei Stunden an. Nun wollte ich weniger Fliegen und den Weg zum Ziel machen. Sieben Stunden sollte die Reise dauern. Es kamen drei Stunden Stau und Sauna-Atmosphäre durch eine streikende Lüftung hinzu. Außerdem eine Fahrerin, die die Fahrgäste auf der Umgehungsstraße humorvoll aber bestimmt nach dem Weg fragte. Nach weiteren zwei Stunden erreichte ich verspätet aber glücklich das Tagungshaus. Kein Flugzeug, kein Taxi, Verspätung. Dafür die Erkenntnis, dass diese Tagesreise der perfekte Weg zum Entschleunigen war. Denn das wollte ich ja: Runterkommen und den Dingen mehr Zeit einräumen. Gibt es eine bessere Art, als eine gefühlt endlose Busfahrt dafür zu nutzen?  

Auf dem Tagungsgelände versammelte sich eine bunte Mischung von Menschen, die unterschiedlicher kaum sein konnte. Berufseisein- und Umsteiger aber auch Aussteiger, Globetrotter, Weltverbesserer, Querköpfe und Mutmacher. Selbst ein Zimmerer auf der Walz war mit dabei. So fanden sich 20 Suchende aus acht Ländern, um sich ähnliche Fragen zu stellen: Was ist wirklich wichtig im Leben? Wohin möchte ich mich entwickeln? Und was sind geeignete Schritte hierfür?

In meinen vorangegangenen Gesprächen mit Freunden und Kollegen habe ich verstanden, dass viele von ihnen mit ihrer Situation unzufrieden sind. Aber auch, dass der Bruch nicht einfach ist. Es gibt immer Gründe den Status Quo aufrecht zu erhalten. Und das Neue ist erstmal unvorhersehbar und macht Angst. Denn es ist unklar, ob sich die Wünsche und Erwartungen realisieren lassen und ob der neue Weg wirklich erfüllender ist als der alte. Er könnte sich auch als Sackgasse entpuppen. Doch die Rückkehr ins alte Leben mag dann versperrt sein. Mit diesen Zweifeln im Gepäck gab es zu Beginn meiner Reise nichts Schöneres als auf Gleichgesinnte zu treffen. Menschen, die versuchen das Ruder über ihr Leben in die Hand zu nehmen und einen neuen Kurs einzuschlagen.

In den nächsten Tagen ging es dann zur Sache. Wir bauten Kunstwerke, gingen in die Natur, diskutierten in Kleingruppen oder im Plenum. Dabei setzten wir uns strukturiert mit den für uns so zentralen Fragen auseinander. Zunächst ging es darum, den bisherigen Entwicklungsweg zu würdigen und ihn als Ressource für die nächsten Schritte zu begreifen. Dann versuchten wir uns unsere Ziele zu vergegenwärtigen und erarbeiteten konkrete Schritte, um diese zu erreichen.

Es begeisterte mich zu erleben, wie wir gemeinsam den Prozess nutzten, um an unseren Fragen zu arbeiten. So waren wir bei uns und unseren Themen und gleichzeitig tief in der Gruppe verwurzelt. Ich nutzte den Prozess, um mir nochmal klar zu machen, was ich an meinem Job geschätzt habe und warum es Zeit war zu gehen. Auch wurde mein Ziel klarer: ich möchte nach einem Lebensentwurf suchen, der es mir gestattet, alle Bereiche, die mir wichtig sind, in Einklang zu bringen. Und gleichzeitig will ich einen bescheidenen Beitrag zu einer lebenswerteren Gesellschaft leisten.

So werde ich Visionäre und Querdenker besuchen, die alternative Wege eingeschlagen haben. Musterbrecher, die es schaffen, ihre Lebensbereiche in Balance zu halten und sich gleichzeitig sinnvoll in die Gemeinschaft einzubringen. Anfangen werde ich mit Sozialunternehmern, da sie versuchen Wirtschaft neu zu denken und auf innovative Weise Gesellschaft zu gestalten. Auch möchte ich auf Menschen treffen, die neue Formen des Zusammenlebens ausprobieren, wie beispielsweise in Ökodörfern oder Baugemeinschaften. Dabei interessiert mich im Besonderen wie sie versuchen, die Grenzen zwischen Arbeit und Freizeit aufzubrechen. Ich möchte ihre Welt genauer kennen lernen, mich von ihnen inspirieren lassen und Antworten auf meine Fragen finden. So geht es mir letztlich darum, meinen eigenen Interessen und Werten mit Leidenschaft nachzugehen und gleichzeitig eine Welt mitzugestalten, in der alle Menschen ihren Platz finden.

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